Dr.med. Thomas W. Faust

Facharzt für Orthopädie

Akupunktur

Akupunktur ist eine traditionelle chinesische Heilbehandlung, die erstmals von dem niederländischen Arzt Wilhelm Ten Rhijne (1647-1700) unter diesem Begriff beschrieben wurde. Nach seinem zweijährigen Aufenthalt in Japan schrieb er in seiner Dissertation über die außergewöhnlichen Wirkungen dieser Heilpraktiken. Die Methode, mit Nadeln in die Haut eines Patienten zu stechen, um therapeutische Effekte zu erzielen, geht auf die ausführlichen Aufzeichnungen des Wanderarztes Bian Que im Jahre 90 v. Chr. und des Kornspeicher-Verwalters Chunya Yi 216 bis ca. 150 v. Chr. zurück. Das in China ursprünglich gebräuchliche Wort für Akupunktur ist Zhen-Jiu, eine Zusammensetzung aus Zhen (Nadel) und Jiu (Moxa). Der Begriff „Moxa“ ist von der japanischen Heilpflanze Mogusa abgeleitet. Durch Verbrennung dieser Pflanze wurde dem Patient über die eingestochene Nadel therapeutische Wärme zugeführt. Nach chinesischem Verständnis gehören Akupunktur und Moxibustion untrennbar zusammen und bilden wichtige Säulen der traditionellen chinesischen Medizin (TCM).

Die TCM selbst ist bereits in dem um 500 bis 300 v. Chr. entstandenen klassischen Werk des HuangDi Nei Jing, dem „Medizinischen Lehrbuch des gelben Kaisers“ enthalten. Dieses wiederum geht auf ein Zwiegespräch zwischen dem legendären Gelben Kaisers HuangDi und seinem Leibarzt Chi Po (ca. 2600 v. Chr.) zurück.
In diesem Lehrbuch werden im theoretischen Teil die von den philosphischen Konzepten des Konfuzius sowie aus taoistischer Weltansicht geprägten Grundlagen erörtert. Diese sind das Tao, Yin und Yang, die fünf Elemente und ihre Entsprechungen, die inneren Organe Zang-Fu, die Haupt- und Nebenmeridiane, die Vitalkraft Qi, die Krankheitsursachen und schließlich eine daraus abgeleitete Krankheitslehre. In dem praktischen Teil werden die Hauptsäulen der TCM, die Akupunktur, die Moxibustion, die Heilkräutertherapie und sehr begrenzte chirurgische Behandlungen dargestellt.

Tao ist der geheimnisvolle Ursprung des Universums und damit das allem zugrunde liegende Ordnungs- und Regulationsprinzip. Der Tao-Begriff ist Ausgangspunkt für die Entwicklung einer „Ganzheitstherapie“, welche nicht die Symptome, sondern in heutigem Sinne immer den gesamten Organismus zu heilen versucht. Nach alter chinesischer Vorstellung strömt aus dem Tao die Vitalkraft Qi in das gesamte Universum und in alle darin befindlichen Elemente und Lebewesen.
In der Vitalkraft Qi ist das Gegensatzpaar Yin und Yang enthalten. Alle Substanzen des Universums sind aus zwei einander entgegengesetzten Prinzipien zusammengesetzt. Nur die neutrale Vereinigung von Yin und Yang führt zur umfassenden Harmonie in einem sich ständig ändernden Ganzen. Yin ist die Substanz, ist aufbauend, ist passiv, ist nehmend, ist das Symbol für Weiblichkeit und steht für Speicherorgane (Zang-Organe) wie Leber, Niere, Lunge, Milz, Bauchspeicheldrüse und Herz.
Yang dagegen ist aktiv, ist Funktion, ist gebend, ist das Symbol für das Männliche und steht für Hohlorgane (Fu-Organe) wie z. B. Darm, Gallenblase und Harnblase.
Vollkommene Gesundheit besteht nur in einem ausgeglichenen Verhältnis aller Yin und Yang-Elemente. Störungen, Beschwerden, Symptome oder gar Krankheiten sind durch ein Ungleichgewicht (ein Zuviel – Shi (Fülle) oder ein Zuwenig – Xu (Leere)) dieser Elemente bedingt.
Daraus werden die wichtigsten Grundtypen der traditionellen chinesischen Krankheitslehre abgeleitet: Erkrankungen von einem Yin-Überschuß, einem Yin-Mangel, einem Yang-Überschuß oder einem Yang-Mangel. Die Ursache dieser Fehlharmonie besteht darin, dass krank machende Faktoren die Grundlebenskraft Qi gestört haben und entweder ein Energiestau oder ein Energieüberschuß daraus resultierte.

Um ein mögliches Ungleichgewicht herauszufinden, bedient sich die chinesische Diagnostik einer besonderen Inspektion, Auskultation, Palpation, Anamnese, Zungenbefundung und Pulsertastung. Die Vielzahl der Krankheitsbilder werden anhand der „acht klassischen Prinzipien“ (außen-innen, Kälte-Hitze, Mangel-Überschuß, Yin-Yang Typ), der vermutlich betroffenen Organsysteme (Zang-Fu) sowie der betroffenen Meridiane eingeordnet.
Die Meridiane werden als Energiekanäle des menschlichen Körpers verstanden, in denen die Vitalkraft Qi zirkuliert. Alle Organe sind an diesem „Kanalsytem“ angeschlossen und werden so mit der nötigen Lebensenergie versorgt und alle Substanzen des Körpers zu einer funktionellen Einheit verbunden.
Zur Therapie ist genaue Kenntnis aller Akupunktur-Punkte notwendig, die ähnlich einem Schleusenwerk, einen speziellen Zugang zu den Meridianen ermöglichen. Durch die richtige Auswahl der Akupunktur-Punkte kann je nach vorliegendem Beschwerdebild Einfluss auf den gestörten Qi-Durchfluß genommen und somit das harmonische Gleichgewicht im Körper wieder hergestellt werden.

Dies ist jedoch nicht damit gleichzusetzen, dass fundamentale Schädigungen im Körper geheilt werden können. Durch den Nadelreiz sind grundsätzlich beginnende Krankheiten oder Befindlichkeitsstörungen, insbesondere psychosomatische Beschwerden positiv zu beeinflussen oder auch ganz zu beheben.
Die schulwissenschaftlich nachweisbaren Effekte der Akupunktur liegen neben lokalen Wirkungen in der Reduktion von Sedierung (Dämpfung), Schmerzlinderung und Entzündungshemmung. Im Wirkspektrum der Sedierung konnte wissenschaftlich nachgewiesen werden, dass an Stellen der entsprechenden Akupunkturpunkte eine höhere Dichte von Nervenfasern, ausgehend von den Hirnhäuten, vorhanden sind.
Auch der Effekt der Schmerzlinderung kann wissenschaftlich erklärt werden. Durch einen tiefen Nadeleinstich in der Skelettmuskulatur werden Areale von Druck- und Dehnungsrezeptoren stimuliert, die einen intensiven Druckreiz über das Rückenmark und Mittelhirn bis zur Großhirnrinde weiterleiten können. Dort wird nun ein körpereigenes Schmerzhemmungssystem in Gang gesetzt, welches seine schmerzhemmende Wirkung für den gesamten Körper über körpereigene Opiate, allen voran das ß-Endorphin, entfaltet. Dieser durch Akupunktur provozierte Mechanismus konnte schon vielfach belegt werden. Dadurch sind verblüffende Phänomene,
wie z. B. eine Nadelung am Bein mit erfolgreicher Therapie von Kopfschmerzen, nachvollziehbar.
Auch die Entzündungshemmung durch Akupunktur ist leicht erklärbar. Der allgemein bekannte Wirkstoff Kortison besitzt die stärkste entzündungshemmende Wirkung, was in vielen Medikamenten seine Anwendung findet. Jedoch verfügt auch unser Körper über einen Kortisonspeicher in der Nebennierenrinde, um Entzündungen auf natürliche Weise zu bekämpfen.

Über den Nadelstich der Akupunktur kann in oberflächlichen Gewebeschichten ein bestimmtes Molekül aktiviert werden, welches über das Hormon ACTH die Nebennierenrinde veranlasst, das körpereigene Cortisol auszuschütten, um somit die bestehende Entzündung einzudämmen.
Akupunktur ist als ergänzende, körpereigene Kräfte ausnutzende Reiztherapie zu betrachten, die durch Stimulation bestimmter Körperpunkte in der Lage ist, Schmerzlinderung, Entzündungshemmung und Sedierung zu provozieren. Es gibt verschiedene Gründe die Faszination der Akupunktur in der westlichen Welt zu erklären. Die kosmische Gesamtanschauung aller Dinge einschließlich der Natur des Menschen trifft hierbei auf Sehnsüchte, die Natur wieder als Ganzes zu begreifen. Ökologie und die uralte chinesische Lehre von den polaren und sich ergänzenden Kräfte Yin und Yang spiegeln dies wieder. Auch der therapeutisch einfache Ansatz, die unkomplizierte gerätefreie Anwendung und die oftmals verblüffenden Wirkungen machen die Akupunktur zu einem sehr beliebten Instrument der Therapie. Hinzu kommt - im Gegensatz zur westlichen Medikamentengabe - der wichtige Aspekt der Nebenwirkungsfreiheit.
Aus diesen Gründen verstehe ich die Akupunktur in meiner orthopädischen Praxis als Möglichkeit, krankengymnastische Behandlungen sinnvoll zu unterstützen oder den Medikamentenverbrauch zu reduzieren oder gar ganz abzubauen.